Wie schaffe ich gewünschtes Maß an Harmonie und Bildspannung ?
Im vorangegangen Schritt wurde die Grundausrichtung der markanten Farbtöne im Foto vorgenommen. Das Vorgehen basiert auf den Empfehlungen des Farbmodells von Johann Itten. Dieser kennt jedoch noch 4 weitere Kontrastarten, welche wir nun zum Optimieren der Farbkomposition einsetzen werden.
Dabei betrachten wir Farben mit dem Auge eines Malers, sehen bewusst Farben mit all ihren feinen Tönen und Schattierungen. Für Lightroom-Anwender bedeutet dies die Optimierung der Sättigungen (S) und der Helligkeiten (L, Luminanz) zum Beispiel im jeweiligen Radialfilter.
Das reale Motiv steckt für Fotografen den Gestaltungsrahmen, in welchen Inszenierungen und Bildbearbeitungen stattfinden. Ziele sind eine Optimierung der Bildwirkung in Hinblick auf eine harmonische Farbgestaltung bzw. eine Spannung durch passende Farbkontraste.

Was ist zu tun ?
Beim Optimieren streben wir nach Erzeugung von Wohlgefühl und/oder Anregung für den Bildbetrachter. Dazu sorgen wir für
- passende Anteile der markanten Farbtöne,
- optimierte Helligkeits-Dunkelheit-Verteilung,
- emotionen-fördernde Grade an Farbreinheit und
- ein Vermeiden verfälschter Farbwirkungen.
Im Diagramm wird vereinfacht ersichtlich, welche Wirkung die jeweilige Ittensche Kontrastart hinsichtlich Wohlgefühl (Stichpunkte auf der linken Seite) bzw. Anregung (Stichpunkte auf der rechten Seite) haben kann.
Das Vorgehen ist keine geradliniger Prozess, sondern meist durch Suchen, Abwägen, Ändern, Prüfen und Korrigieren in diversen Schleifen geprägt. Dabei sollen folgende Betrachtungen hilfreich sein:
Quantitätskontrast
Dieser Kontrast bezieht sich auf die Größe der verschiedenen farbigen Flächen und auf das Verhältnis dieser Flächen zueinander. Hierbei geht es um „viel und wenig“ oder „groß und klein“. Die Sättigung, Helligkeit und die Flächengröße bestimmen zudem miteinander die Farbenwirkung.
Harmoniefördernd sind flächige Farben in einer begrenzten Anzahl (bis maximal 4), die zueinander in einem ausgewogenen Verhältnis stehen; siehe unten.
Spannungsfördernd wirken Farben, die als Akzente gesetzt werden.
Ausgewogenes Verhältnis von Farbflächen
Das Ergebnis harmonischer Flächengestaltungen ist eine statische, ruhige Wirkung. Dazu müssen die Größen der Flächen im umgekehrten Verhältnis der Lichtwerte angelegt werden. Die Lichtwerte für unterschiedliche Farben sind aus folgender Tabelle ersichtlich; Quelle: https://lehrerfortbildung-bw.de/st_digital/medienkompetenz/gestaltung-farbe/kontrast/quan-kon/
Flächenbedarf von Farben:
Gelb |
orange |
rot |
violett |
blau |
grün |
3 |
4 |
6 |
9 |
8 |
6 |
Beispiel: Ausgewogenheit für gelbe Fläche zu violetter Fläche bedeutet 3 : 9 = 1 : 3 d.h. die weniger leuchtstarke violette Fläche muss dreimal größer sein als die leuchtend gelbe.
Durch solche harmonischen Farbmengen stellt sich der Quantitätskontrast neutral dar. Aus diesem Grund kann er alle anderen Farbkontraste in ihrer Wirkung dämpfen. Sollen die Farbenanteile anregend wirken, ist von den harmonischen Verhältnissen abzuweichen.
Anzahl Farben - Weniger ist oft mehr
Wenn wir eine bestimmte farbliche, nicht zu bunte Anmutung für ein Bild wollen, dann gibt es 2 Vorgehensweisen:
a. Inszenieren:
Aktive Auswahl der beteiligten Farben in Bildelementen vor Aufnahme
b. Entdecken:
Entdecken und Eliminieren bzw. Abschwächen unerwünschter Farben während der Bildbearbeitung durch
- Bildausschnitt ohne unerwünschte Farbe(n) wählen,
- Farbton so verändern, dass er zu einem vorhandenen wird,
- Bildelement mit unerwünschter Farbe inhaltssensitiv füllen,
- Sättigung reduzieren für Bildelement mit unerwünschter Farbe,
- Per Color Grading eine gemeinsame Farbstimmung für die Farben erzeugen,
- je nach Luminanz des Bildelements mit unerwünschter Farbe dieses aufhellen bzw. abdunkeln
Hell-Dunkel-Kontrast
Bei diesem Kontrast wird eine helle Farbe einer dunklen Farbe gegenübergestellt. Dabei kommen sowohl bunte Farben als auch Schwarz, Weiß und Grau zum Einsatz. Die Kombination von Schwarz und Weiß bildet den extremsten Kontrast.
Jede Farbe hat eine Eigenhelligkeit (größte bei Gelb). Gleich helle Farben sind für Wahrnehmung anstrengender. Hirn verarbeitet Luminanz als erstes.
Harmoniefördernd wirken helle Farben, weil wir sie als freundlich, unbeschwert, offen, Weite gebend, weiter entfernt und leicht wahrnehmen. Wir sollten Helligkeit nutzen, indem wir Pastellfarben harmonisch miteinander wirken lassen. Aufgehellte Farbtöne könnten mit ihrer Vollfarbe kombiniert werden.
Spannungsfördernd wirken dunkle Farben. Sie reflektieren weniger Lichtstrahlen und Dinge werden dadurch als näher, bedrückender, schwerer und kleiner wahrgenommen.
Anwendungsbereich - Lichtstimmungen, Formen und Strukturen
Der Hell-Dunkel-Kontrast ist natürlich in allen Bereichen der Fotografie wichtig, besonders aber in der Schwarz-Weiß- bzw. monochromen Fotografie. Warum? Ganz einfach, dort fehlen andere Kontraste, zum Beispiel zwischen verschiedenen Farben. Mit dem Hell-Dunkel-Kontrast lassen sich Formen und Strukturen verstärken.
Luminanz-Bereichsmaske in Lightroom Classic
Die Luminanz-Bereichsmaske bezieht sich auf Unterschiede in der Helligkeit zwischen den verschiedenen Bildelementen. Mit ihr wählen wir Bereiche mit ähnlicher Helligkeit aus, auf welche die Schieberegler angewendet werden.
Qualitätskontrast
Aus dem Gegensatz von gesättigten (leuchtenden) Farben zu stumpfen (getrübten) Farben entsteht der Qualitätskontrast. Je reiner eine Farbe, desto intensiver wirkt sie, stärker drängt sie in den Vordergrund und unnatürlicher ist ihre Wirkung.
Harmoniefördernd sind daher stumpfere, zurückhaltende Farben. Besonders beliebt ist eine Ton-in-Ton-Auswahl (gleiche Farbe mit mehreren Abstufungen).
Spannungfördernd sind dagegen gesättigte, leuchtende, grelle Farben, die aktiv und intensiv in den Vordergrund drängen.
Ideen für Harmonie
Harmonie insbesondere durch:
a. Ähnliche Farbtöne
- Es ist besser, weniger Farben zu verwenden, wenn man sich unsicher ist: Drei bis vier Farben
- benachbarte Farbtöne (ähnliche Farben)
- Farben der warmen Farbpalette (ähnliche Farben)
- Farben der kalten Farbpalette (ähnliche Farben)
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b. Gebrochene Farben ( reduzierte Sättigung)
- bunte mit unbunten Farben
- mit Grau entsättigte Farbtönen mit ihrer Vollfarbe (Monochrom)
- Grau, Weiß und Schwarz funktionieren mit allen Farben, wenn der Kontrast stimmt
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Simultan-Kontrast
Der Eindruck einer Farbe wird durch seine, gleichzeitig sichtbare Umgebungsfarbe beeinflusst - je nach Stärke des Simultankontrastes. Auf diese kann eine Farbe verfälscht wahrgenommen werden.
Hilfreiche Beispiele:
Bei schwarzem Hintergrund wirkt eine Farbe kräftiger, bei weißem schwächer.
Kalte Umgebungsfarbe lässt eine Farbe wärmer erscheinen.
Bei all den Optimierungsschritten stehen 2 Fragen im Raum:
- Fördern die Farben mein fotografisches Anliegen (Aussagen, gestalterische und technische Ideen) ?
- Erziele ich bestmöglich die gewünschte emotionale Wirkung ?
Das folgende, bereits bekannte Diagramm fasst die Überlegungen zu harmonie- und spannungsfördernden Wirkungen zusammen. Gleichzeitig wird auch grob skizziert wie die Kontrastarten der Optimierung im Zusammenspiel mit der farblichen Grundausrichtung auf die Emotionen des Bildbetrachters wirken können.

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Fallbeispiel mit optimierter Farbgebung
Wenden wir die Überlegungen zur Optimierung der Farbkomposition auf das Fallbeispiel an, so entsteht beispielsweise folgendes Ergebnis:

Optimierungsziel war eine größtmögliche Nähe zur realen Situation. Im Wesentlichen wurde der Himmel dunkler gemacht. Dafür wurde für den Himmel ein Verlaufsfilter angelegt, welcher eine Farbbereichsmaske erhielt. Im Verlaufsfilter wurde lediglich die Helligkeit reduziert (Optimierung Hell-Dunkel-Kontrast). Für den Qualitätskontrast wurde für das ganze Bild die Sättigung etwas erhöht.
Der Quantitätskontrast wurde für das Bild nicht auf ausbalanzierte Farben hin gestaltet. Dazu hätte die blaue Himmelsfläche größer werden müssen als die grüne Putzfläche. Das Orange der Dekorationselemente dürfte flächenmäßig auch einen höheren Anteil einnehmen als ihm gegenüber dem Blau zustehen würde. Folglich sind das Blau und Orange eher als Akzentfarben zu sehen.
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Nächste Schritte
Die bislang dargestellten Instrumente bilden die Basis für Folgeschritte wie
– Gestalten des „gewissen Etwas“
– Farben gestalten – neu von Grund auf oder per Farbvorlage
– Farben gestalten – spontan oder geplant
Doch dazu folgen später die entsprechenden Ausarbeitungen.
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