Vom Streben nach dem besonderen Bild

Als ambitionierte Fotograf*innen streben wir aus den unterschiedlichsten Gründen nach dem besonderen Bild. Je nach Aufgabenstellung und persönlicher Veranlagung sind wir dabei Entdecker und/oder Inszenierer; …siehe auch mein Posting vom 2. August 2020. Im Folgenden beschreibe ich nun, wie ich mir eine Vorstellung davon verschaffe, ob eine Bildidee oder ein ausgearbeites Bild etwas Besonderes ist.

Besonderes ist anders als das Übliche

Ein Bild ist etwas Besonderes, wenn es vom aktuell Üblichen abweicht. Das kann etwa geschehen, indem man

  • mit Bedacht von allgemeinen Normen oder Regeln (z.B. Goldener Schnitt) abweicht; was Zustimmung aber auch Ablehnung hervorrufen kann;
  • Neues schafft, weil es erstmalig vorkommt (zum Beispiel Thema “…Corona-Virus“), bislang Unbekanntes aufgreift oder zumindest wenig Bekanntes zum Gegenstand hat;
  • Bekanntes mit ausgesprochen hoher Qualität macht, welche besser als Vieles bisher Geleistetes ist.

Davon verspricht man sich als ambitionierte Fotograf*innen, die Realität im Foto bestmöglich, wenn nicht gar perfekt abzubilden. Aber auch die Nutzung einzelner Fotos als Rohstoff für etwas Neues bzw. Besonderes kann einem helfen, seine persönliche Anliegen und Ideen mit dem Medium Fotografie zu verwirklichen.

Ob etwas besonders ist, hängt nicht nur von seiner eigenen Meinung als Autor*in ab. Sobald ein Bild anderen gezeigt wird, kann es bei Betrachtern zu einer anderen Beurteilung führen. Die Einstufung, ob ein Bild was Besonderes aufweist, ist also immer auch etwas Subjektives.

 

Die IRIS-Methodik als Hilfe bei der Suche nach dem Besonderen

Der Begriff “Besonderes” ist sehr allgemein. Eine weitere Eingrenzung erfolgt durch die Betrachtung von Bildelementen. Ein besonderes Foto stellt eine besondere Umsetzung inhaltlicher, emotionaler, gestalterischer und/oder technisch-handwerklicher Bildelemente dar. In den Begriffen der IRIS-Methodik (… mehr) bedeutet das eine besondere

  • Aussage: Welche besondere Botschaft enthält das Bild für wen ? Sagt das Bild was Besonderes aus ? was Neues ?
  • Emotion: Löst das Bild beim Betrachten ausgeprägte Gefühle / Reaktionen aus ?
  • Gestaltung: Optimiert die Bildgestaltung die Führung des Betrachter-Auges und somit eine anziehende Bildwirkung ?
  • Technik: Wurde das fotografische Handwerkszeug exzellent beherrscht ?

 

4 Bildbeispiele berühmter Fotografen

Anhand von 4 Bildern, angefertigt von berühmten Fotografen, möchte  ich aufzeigen, wo ich das Besondere sehe. Rechts vom jeweiligen Bild stellt eine IRIS-basierte Netzdarstellung meine ganz persönliche Einstufung des Bildes dar.

Pro IRIS-Begriff gibt es 5 Wertestufen für besondere Realisierung: 0 – unbefriedigend; 1 – Übliches; 2 – hohe Qualität; 3 – Neues; 4 – Abweichung vom Normalen

 


Besonderes fotografieren und präsentieren

Die Erarbeitung eines besonderen Bildes verlangt eine Achtsamkeit von den ersten Impulsen / Gedanken an bis hin zur fertigen Präsentation – nach dem Motto “Ohne Fleiß kein Preis”. Ein wichtiger Schritt ist dabei die Wahl der Bildsprache.

Eine Bildsprache ist ein Kommunikationsmittel, um die besonderen Inhalte von Fotograf*in an die Bildbetrachter zu vermitteln. Die Bilder / Bildelemente sind dabei die Vokabeln der Sprache. Damit transportiert man Information, Wissen und löst Emotionen aus.

Ein Bild wirkt auf mehreren Ebenen:

  • Zum einen durch den abgebildeten Inhalt (Aussagen),
  • zum anderen durch die formale Gestaltung; die Bildgestaltungsmöglichkeiten hängen auch von den verfügbaren technischen Möglichkeiten ab.

Eine Bildsprache sei hier folglich die Gesamtheit an fotografischen Mitteln, mit denen sich Fotograf*in im Bild (besonders gut) mitteilen kann. Als Fotograf*in sollte man sich daher schon vor dem eigentlichen Fotografieren über die Aussage sowie über die Nutzung von besonderen Gestaltungsmitteln im Klaren sein. Natürlich lassen sich die Besonderheiten des Bildes auch in Folgeschritten weiter herausarbeiten.

Eine Bildsprache gestattet die unterschiedlichsten Ausdrucksweisen. Im konkreten Fall trifft man eine Auswahl an fotografischen Mitteln nach persönlichen Anliegen. Wird immer wieder die gleiche oder ähnliche Auswahl getroffen, entwickelt sich ein spezieller Bildstil, der dann für eine Fotografin oder einen Fotografen ein besonderes Kennzeichen sein kann.

 

Fazit

Das Erkennen des Besonderen kann systematisch gemacht werden, sodass nach dem ersten subjektiven Empfinden auch erklärt werden kann, warum das Bild besonders ist. Will man selber besondere Bilder anfertigen, ist das Erkennen nur eine wichtige Voraussetzung, der das Fotografieren und Präsentieren mit der passenden Bildsprache folgen muss.

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6 Responses so far.

  1. oli sagt:
    Hallo Günther,
    wir sind uns in der Beurteilung ob dein IRIS oder das von mir präferieret Vier-Augen-Modells nach Zurmühle (in Anlehnung des 4 Ohren Modells nach Friedemann Schulz von Thun) hier das passendere System ist eh uneinig, allerdings vermisse ich in deiner ausgeführten Idee die Intension des Fotografen.
    Ist es wirklich meine Aufgabe als Fotograf schon vor dem Auslösen mir schon Gedanken über die spätere Präsentation zu machen? Mache ich meine Bilder nur für ein (unbekanntes) Publikum? Fotografiere ich nicht vielleicht auch einfach für mich & meine Seele? Ist die Technik und Bildsprache (+ Präsentation) bei einem besonderen Bild wichtig? (Beispiel Vietnam Mädchen Phan Thị Kim Phúc von Nick Út). Dieses Bild ist technisch und gestalterisch eine Katastrophe – aber Ùt hatte eine klare Intension den Krieg mit allen seinen Facetten zu dokumentieren. Der drittklassige Print in den Zeitungen hatte Út bei der Belichtung mit Sicherheit nicht beachtet.
    Ich glaube die Frage 1 die ich mir als Fotograf stellen sollte ist die Frage nach dem “Warum fotografiere ich?” gefolgt von “Für wen fotografiere ich?”.
    Wer diese Fragen für sich beantworten kann, der wird die passenden Motive suchen (und finden).

    vg, oli

    • Hallo Oli,

      will man in einem Block nicht überlang werden, muss man seine Gedanken vereinfachen. Daher kommen manche tiefergehende Gedanken nicht so zum Ausdruck. Ich präferiere bei Überlegungen der Art, wie Du sie angestellt hast, eigentlich das persönliche Gespräch, welches vieles einfacher macht. Würde sich bei uns beiden durchaus anbieten, da wir nur eine S-Bahn-Station auseinander sind.

      Ich bin nicht gegen das 4-Augenmodell, sondern habe es nur abgewandelt für das Umfeld, in dem ich seit über 30 Jahren unterwegs bin. Allmählich ist es bereit, über so etwas wie das Ich-Auge nachzudenken. Wenn Du Lust hast, kannst Du mal unter “https://www.ccms.de/gallerien/2012-2-2/f-n/kuenstlerische-fotografie-erste-ideen/” lesen.

      Natürlich muss ich mir beim freien (also nicht auftragsbezogenen) Fotografieren nicht schon Gedanken über die Präsentation machen … Ganz klar bin ich als Fotograf*in der erste Betrachter, will sagen kann also auch für mich fotografieren und dann entscheiden, ob ich das Foto anderen zeige … Die Ein besonderes Bild muss nicht alle IRIS-Kriterien erfüllen, d.h. es soll Aussage ODER Emotion ODER Gestaltung ODER Technik besonders sein; so sind z.B. bei den 4 Bildbeispielen sind nicht immer alle 4 Kriterien besonders gut.
      LG Günther

  2. Ludwig Wiese sagt:
    Du machst Dir als einer der wenigen grundlegende Gedanken über die Fotografie. Das finde ich super.
    Zum Inhalt Deines Beitrags habe ich zusätzlich zu olis Kommentar kaum etwas zu ergänzen. Er bringt es auf den Punkt:
    1. „Warum fotografiere ich?“
    In meinem Artikel „Amateurfotografie – nur ein Zeitvertreib?“ schreibe ich auf Seite 44: „Die Fotografie bietet Platz für Fotografen mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten. Darum ist es wichtig, sich über die eigenen Ziele klar zu sein und sich eindeutig zu positionieren.“
    Siehe: https://www.w-fotografie.de/wp-content/uploads/2016/02/Beitrag_4-L_Wiese-Fotografie.pdf)
    2. „Für wen fotografiere ich?“
    In „Was fotografierst du so?“ auf Seite 13: „Voraussetzung für die Beurteilung von Fotos ist die Klärung des jeweiligen Einsatzzwecks.“
    Siehe: https://www.w-fotografie.de/wp-content/uploads/2016/02/Beitrag_3-L_Wiese-Fotografie.pdf
  3. Ludwig Wiese sagt:
    Vielen Dank für den Hinweis auf Deine Überlegungen zur künstlerischen Fotografie.
    Ich stimme Deinem Satz „Es geht hier nicht darum, wie Amateurfotografen (die nicht von der Fotografie leben) Künstler werden, sondern wie sich Ansatzpunkte für unsere gemeinsame fotografische Weiterentwicklung herausarbeiten lassen.“ voll zu. Auf der anderen Seite kokettierst Du mit dem Begriff der künstlerischen Fotografie.
    Ich konnte es natürlich nicht lassen und habe auch zu diesem Thema in zwei Blogbeiträgen meinen Senf dazugegeben:
    Beitrag 1: https://www.w-fotografie.de/amateurfotografen-sind-keine-kuenstler-1/
    Beitrag 2: https://www.w-fotografie.de/amateurfotografen-sind-keine-kuenstler-2/
    Ich komme darin zu dem vielleicht etwas extremen Ergebnis, dass Amateurfotografen keine Künstler sein können und deswegen auch keine Kunstwerke schaffen. Daher sollten Amaturfotografen den Begriff „Kunst“ nicht für ihre Fotos verwenden, auch nicht in der abgemiderten Form „künstlerische Fotografie“.

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